Verschwundene Orte in Berlin – eine Zeit- und Rundreise

Verschwunden, aber nicht vergessen

Von Ahornblatt bis Zellengefängnis. Von Blub bis SEZ. Von Molkenmarkt bis Magnetschwebebahn. Und von Staaken bis Spindlersfeld. Dieses Buch führt auf eine Zeit- und Rundreise zu den verschwundenen Orten Berlins. Wie keine andere Stadt hat Berlin in seiner Geschichte Metamorphosen durchlaufen, die zuweilen nur ganz allmählich vonstattengingen und mal auf einen Schlag. Das Antlitz der Stadt war stets einem Wandel unterworfen und ist es noch, das ist die Konstante bei aller Veränderung. Dass Berlin dabei doch immer Berlin bleiben konnte, liegt daran, dass Verschwundenes hier nicht so schnell verlorengeht: In den Erinnerungen der Menschen, in Erzählungen, in der Folklore bleibt vieles bestehen, das längst nicht mehr dasteht. Das Stadtbild hat so neben den drei gegenwärtigen Dimensionen immer auch eine vierte: das gewisse historische Etwas, das sich hinter Fassaden, unter dem Pflaster und in den Köpfen verbirgt.

Das Buch zeigt so übersichtlich wie kurzweilig, wie sich die Epochen, Gesellschaftsformen sowie ihre Ideologien im Stadtbild widerspiegeln. Und dass gerade darin der besondere Charme dieser Stadt liegt.“ Märkische Oderzeitung

Warum verschwinden Orte? Die ausgewählten in diesem Buch zeigen, dass es in neuerer Zeit vor allem vier Faktoren dafür gab: Erstens die Naziherrschaft, den Zweiten Weltkrieg und die anschließende Wiederaufbauzeit, die auch eine Abrisszeit war. Zweitens die politische Wende, nach der Orte, die trennten, das Zeitliche segneten, aber auch viele DDR-Alltagsorte. Drittens die periodisch wiederkehrende Umgestaltungswut rund um den Alexanderplatz. Und schließlich, zeitlos, Geschäfts- und Repräsentationsinteressen: Versprach etwas Neues mehr Ansehen oder Profit als das Bestehende, musste dieses jenem weichen. Natürlich gibt es noch mehr Gründe: So hat beispielsweise die Sechziger-Jahre-Devise von der „autogerechten Stadt“ in Ost wie West vielen Orten den Garaus bereitet – und kuriose neue Orte geschaffen wie etwa die später gleichfalls wieder verschwundene Fußgängerbrücke über die Tauentzienstraße. Der Flughafen Tempelhof wiederum wurde einfach abgewählt.

Wandel ist ohne Veränderungen nicht zu haben. Unter dem Gesichtspunkt, dass „früher“ eben mitnichten „alles besser“ war, trifft diese Floskel zu. Trotzdem ist es natürlich schade um sehr viele der verschwundenen Orte. Wer würde nicht gern einen vergnüglichen Abend im Lunapark, der Mokka-Milch-und-Eis-Bar oder dem alten Tresor verbringen? Wer wünschte sich nicht, die Alt-Berliner Atmosphäre am Jüdenhof erlebt zu haben oder sich noch einmal durchs Tacheles treiben zu lassen? Andere Orte braucht dagegen niemand zurück: Ein „Führerbunker“ gehört zum Glück genauso wenig wie ein Stalindenkmal in unsere Zeit und unsere Stadt. Und ein Stadtschloss? Darüber lässt sich trefflich streiten. Auch unsere Nachfahren werden sich irgendwann fragen, weshalb es diesen oder jenen Ort gegeben hat, der uns heute als selbstverständlich erscheint, und warum er wieder verschwand. Wir selbst erinnern uns derweil an die für uns zwar verschwundenen, aber nicht vergessenen Orten Berlins. Und die Schönebergerin Marlene Dietrich singt dazu den Soundtrack:
Solang noch Untern Linden
Die alten Bäume blühn,
kann nichts uns überwinden.
Berlin bleibt doch Berlin.

Dennis Grabowsky:
Verschwundene Orte in Berlin
Verlag Bild und Heimat, Berlin 2019
144 Seiten, 14,99 Euro